Von Freud und Leid

9 01 2013

Unsere nächste Station war Battambang, eine Stadt im Nordwesten Kambodschas. Die Stadt ist zwar größer als Siem Reap, doch wirkt sie wesentlich ruhiger und birgt auch nicht so viele Anziehungspunkte. Von Battambang aus gibt es eine Eisenbahnstrecke zur Hauptstadt Kambodschas, Phnom Penh. Der alte, sehr langsame Zug fährt diese Strecke jedoch nur 1x die Woche, sodass die Einwohner der umliegenden Dörfer erfinderisch wurden um ihre Waren zu transportieren und den Bambuszug erfanden. Dieser besteht einfach aus zusammengezimmerten Bambusstäben, die auf zwei Eisenbahnachsen aufgelegt werden. Das Ganze wird angetrieben durch einen kleinen Motor – und fertig ist die Zugkonstruktion.
Das konnten wir uns natürlich nicht entgehen lassen und haben gleich eine kleine Fahrt damit unternommen, mitten hinein in die Touristenfalle von Frauen und Kindern, die einem mit breitem Lächeln Schals und Getränke verkaufen wollten. Aber das kennen wir ja schon! Die Fahrt selber war wirklich mal etwas Anderes. Schneller als erwartet, ein bisschen Achterbahn-Feeling und wenn einem ein anderer Bambuszug auf der einspurigen Strecke entgegenkam wurde der Zug abgebaut und nach dem Passieren des anderes Gefährts wieder auf die Gleise aufgelegt. Genial!

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Am nächsten Tag ging es dann schon weiter nach Phnom Penh, wie gesagt die Hauptstadt von Kambodscha und eine sehr chaotische noch dazu. Hier wollten / konnten / mussten wir uns mit der jüngsten Geschichte des Landes auseinandersetzen, eine Geschichte, die uns schon bei den Reisevorbereitungen vor einigen Monaten entsetzt hat.

Im April 1975 kam eine Guerillabewegung, namentlich die Roten Khmer, unter dem Anführer Pol Pot in Kambodscha an die Macht. Die Khmer sind die mehrheitliche Ethnie in Kambodscha, die Farbe Rot steht für den Kommunismus. Die folgenden 3 Jahre, 8 Monate und 20 Tage lebten die Kambodschaner unter einer Schreckensherrschaft mit furchtbaren Ausmaßen. Die Roten Khmer wollten einen sozialistischen Bauernstaat einführen – sie vertrieben innerhalb von 3 Tagen alle Menschen aus den Städten und zwangen sie als Bauern auf den Feldern zu arbeiten. Als Sklaven arbeiteten sie 12 Stunden lang ohne Pause, mit nur wenig Reissuppe zu essen und unter der ständigen Angst von Bestrafung. Familien wurden auseinander gerissen, es gab keine Medizin und VIELE Menschen starben an Hunger, Krankheiten, körperlicher Überlastung oder durch die Hände ihrer Peiniger.
Jegliche individuellen Rechte wurden abgeschafft sowie Geld als Zahlungsmittel, Religion wurde verboten, Schulen und Krankenhäuser wurden geschlossen und alles was mit Bildung zu tun hatte wurde zerstört. Intellektuelle (u.a. Lehrer, Juristen, Ärzte)  wurden systematisch ausgerottet, es reichte schon eine Fremdsprache zu sprechen oder eine Brille zu tragen. Es wurde gewissermaßen eine “Hand-Regel” eingesetzt. Waren die Hände zu weich und zart, so wurde davon ausgegangen, dass diese Personen keinerlei Felderfahrung haben, zwangsläufig also entweder studiert oder sonstig gebildet sind. Sie wurden gefoltert, getötet und in Massengräbern verscharrt. Um kostbare Munition zu sparen wurden sie nicht erschossen, sondern  erschlagen oder erstochen, mit allem was gerade greifbar war. Eine der Parolen, unter der die Roten Khmer handelten, lautet: “Lieber einen Unschuldigen versehentlich hinrichten, als einen Schuldigen versehentlich zu verschonen.”  Eine weitere Parole wendet sich direkt an die Opfer und verdeutlicht, dass dem Regime die Menschenleben rein nichts bedeuteten: “Dich zu behalten ist kein Gewinn – Dich zu verlieren ist kein Verlust.”
Als Vietnam im Januar 1979 einschritt und das Land von den Roten Khmer befreite, waren dem Schreckensregime bereits über 2 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, das waren mehr als 1/4 der gesamten Bevölkerung.

Nun möge man denken, dass das Bestehen der Roten Khmer hier ein Ende hatte. Tatsächlich bestand die Partei aber noch bis 1998 weiter. Unterstützt wurden sie unglaublicherweise von westlichen Ländern wie den USA, Frankreich, England und Deutschland, die die Roten Khmer weiterhin anerkannten und ihnen sogar einen Sitz in den Vereinten Nationen sicherten. Der Grund: Die westlichen Länder wollten die vietnamesische Besatzung in Kambodscha nicht anerkennen, da sie Vietnam als kommunistisches Land verachteten. So sollen sie die Roten Khmer sogar noch mit Waffen unterstützt haben, im Kampf gegen die vietnamesische Besatzung, die den Kambodschanern die lang ersehnte Befreiung brachten.

Heute erinnern zwei Mahnmale in Phnom Penh an diese Zeit. Das damalige Foltergefängnis S-21dient heute als Museum, das Tuol-Sleng-Museum. Hier sind Fotografien der Opfer ausgestellt, man bekommt Einblick in die Räumlichkeiten, in die kleinen Zellen und auch in die grausamen Foltermethoden.
Das zweite Mahnmal sind die Killing Fields. Wie der Name schon sagt wurden hier die Menschen zur Exekution hingebracht. Die Meisten kamen direkt aus dem S-21. Heute kann man hier unter anderem die Wölbungen der Massengräber und die benutzen Waffen sehen. Der Audioguide führt einen ca. 1,5h über das Gelände. Zum Gedenken an die Opfer wurde eine Gedenkstupa errichtet, mit ausgegrabenen Schädeln, Knochen und Kleidern.

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Der Tag war sehr anstrengend und bedrückend und wir bewundern nun um so mehr die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Kambodschaner, in einem Maß, das uns bisher in keinem anderen Land begegnete. Die Armut hier führt zwar auch zu Korruption und zu ganz eigenem Geschäftsgebaren, doch bisher haben wir keine negativen Erlebnisse gehabt, die sich nachhaltig auf unseren Eindruck auswirken werden. Warten wir ab, ob es in der nächsten und letzten Woche dabei bleiben wird!

Aufgrund der beiden Mahnmale war der Besuch der Hauptstadt Kambodschas ein Muss, die Stadt selbst hat uns aber nicht umgehauen. Alles ist etwas chaotisch, teilweise sehr dreckig und die Restaurantszene konnte uns auch nicht so überzeugen. Dafür waren wir wieder 2x im Kino – erst in der Musicalverfilmung Les Misérables, dann in The Hobbit. Dieses Mal war es aber ein richtiger Kinosaal und es gab leckeres Popcorn. Unser Durst nach Kinoabenden ist somit erst einmal gestillt.
Morgen geht es an die Südküste und zum ersten Mal während unserer Reise werden wir das Meer sehen. Es wird Zeit!

Bis dahin,

Nadine und Lennart



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2 Antworten zu “Von Freud und Leid”

  • Lilo sagt:

    Berührend und mutig, dass und wie Ihr Euch mit der jüngeren Geschichte des Landes auseinandergesetzt habt. Es geht aber bestimmt auch nicht, diese grausige Zeit auszuklammern, da alles noch gar nicht lange her ist.

  • Kathrin u. HW sagt:

    Über die Bambusbahn habe ich noch kürzlich eine Reportage gesehen. -Spannend, dass ihr damit gefahren seid- Nach Phnom Penh habt ihr euch wirklich das Meer verdient. Wir hatten nach drei Tagen auch große Lust weiter zu reisen.

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